Digitale Landwirtschaft

von Prof. Dr. Konrad Steiner

 

Die Herstellung landwirtschaftlicher Rohstoffe, deren Verarbeitung zu Lebensmitteln, Energieträgern und industriellen Rohstoffen sowie die Sicherung höchster Produktqualität sind wichtige Zukunftsaufgaben. Das Wachs­tum der Agrarbetriebe unter dem Druck des Wettbewerbs, aber auch die steigen­den Ansprüche an den Schutz des Bodens, des Wassers, der Natur, der Artenvielfalt und des Klimas erfordern ständige Anpassungen der Produktions­technik. „Precision Farming“, teilautono­me Systeme, selbstfahrende landwirt­schaftliche Maschinen, kleine vollautonome Feldroboter und deren Internet basierendes Data-Mining erlauben eine Reduktion der eingesetz­ten Düngemittel, synthetischen Hilfsmit­tel und Energieressourcen auf ein Minimum und gewährleisten jederzeit dokumentiert und nachweisbar den geforderten Umweltschutz. Landwirt­schaft 4.0 ist bereits ein wichtiges Geschäftsfeld der Landtechnikindustrie. Aber auch die Innenwirtschaft von bäuerlichen Betrieben – nicht nur von Großbetrieben, sondern auch von kleinen- wird zunehmend mechanisiert und automatisiert, Stichwort „Precision Livestock Farming“. Ein naturnahes landwirtschaftliches System zur Nah­rungsmittelerzeugung, das mit biologi­schen Kreisläufen und präzisen, IT- und sensorgesteuerten, bodenschonenden Bewirtschaftungstechniken arbeitet, wird bei gleichzeitiger Reduktion der Arbeits­zeit die Basis der zukünftigen Nahrungs­mittelproduktion sein. Artgerechte und tierfreundliche Nutztierhaltung bei gleichzeitiger Robotisierung der Arbeits­schritte sorgt für mehr Wirtschaftlichkeit aber auch Tiergesundheit und damit für hochwertige, gesunde Lebensmittel. Die Zukunft der europäischen Landwirtschaft liegt in ihrer Wettbewerbsfähigkeit, nicht nur im ökonomischen, sondern auch im ökologischen Sinn. Ressourceneffiziente, energieeffiziente und emissionsarme Landwirtschaft kann produktiv sein und gleichzeitig das Wasser, das Klima und die biologische Vielfalt schützen. Nachwach­sende Rohstoffe sind CO2 neutral, aber durch schonenden Aufbau von Boden wird sogar CO2 aus dem Klimakreislauf genommen. Trotz alledem wird ein Klimawandel erwartet und die Landwirt­schaft muss mit neuen Strategien klima-resistent werden. Aufgrund starker Marktschwankungen, Wirtschaftskrisen und globalen Wettbewerbs ist zusätzlich ein umfassendes Know-how und die Verwendung geeigneter Softwaretools bzw. Plattformen für Wirtschaftlichkeits­berechnungen der betrieblichen Gesamt­ökonomie, Optimierung einzelner Produktionsprozesse und auch Risiko-management nötig.

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Optimierte Bewirtschaftung

Ein modernes Traktorgespann fährt GPS-gesteuert auf 2 cm genau über die Wiese/ das Feld und misst mit einer Reihe von Sensoren die Erntemenge pro Quadrat­meter, den Stickstoffbedarf, die Pflanzen­verteilung, Bodendichte, Verunkrautung u.v.m. und dokumentiert dies online in einer Karte. Die Wiese/das Feld ist selten homogen, es gibt nasse Stellen, karge Stellen, bodenverdichtete Stellen, verunkrautete Stellen etc.. Nach wenigen Jahren hat der Landwirt eine exakte mehrdimensionale Karte mit Datenbank, verknüpft mit Satelliten- und Wetterda­ten, und kann dann die Bewirtschaftung auf den Quadratmeter optimierten. Er wird die Gülle nicht mehr gleichmäßig ausbringen, sondern nach dem echten Bedarf verteilen und gleichzeitig automatisch aufzeichnen, dass kein Gramm Nährstoff das Fließ- oder Grundwasser gefährdet. Das ist Ressourcenschonung im ökonomischen und ökologischen Sinn. In Deutschland werden mittlerweile ¾ aller neuen Traktoren mit GPS Steuerung ausgeliefert, in Brasilien beinahe 100 %.

 

Die Kuh, die selbstständig entscheidet, wann sie zum vollautomatisierten Melkvorgang geht und gleichzeitig auch Warnhinweise über den Gesundheitszustand gibt. Basierend auf dem von Sensorik erfassten Bewegungs- und Fressverhalten, dem pH Wert des Magens, der Körpertemperatur bzw. der Qualitätsparameter ihrer Milch, die in Echtzeit bestimmt werden können – nicht nur pro Kuh, sondern pro Zitze. Daraufhin bekommt die Kuh ihre eigene Futtermit­telmischung bzw. kann der Landwirt immer und überall das Tierwohl und die Tiergesundheit überwachen und zeitnah verbessern. Alle diese Lösungen sind digital, sind automatisiert, und sie sind verfügbar. Aber erst die Vernetzung dieser in einzelnen Beispiele aufgezeig­ten Lösungen eröffnen die wirklichen Potentiale für Ökonomie und Ökologie. Diese Vernetzung ist gerade im Gange.

 

24/7

In der Nachkriegszeit bekamen Schülerin­nen und Schüler schulfrei um Kartoffelkä­fer von den Pflanzen zu sammeln. Arbeitskraft wurden laufend teurer, dann waren Insektizide die Lösung für billige und sichere Ernten. Nun stehen kleine Roboter kurz vor der Marktreife, die Tag und Nacht durch ein Gemüsefeld patrouil­lieren können, Unkraut zupfen, einzelne Pflanzen bei Bedarf düngen und Schadinsekten mechanisch entfernen. Hätte jemand vor 20 Jahren gedacht, dass Staubsauger- oder Rasenmähroboter sinnvoll und erschwinglich sind? Bei CES im Jänner 2016 in Las Vegas wurde eine große Anzahl an Drohnen für den Einsatz in der Landwirtschaft vorgestellt. Die technische Entwicklung schreitet schneller voran denn je.

 

Es geht aber um die Abbildung, die digitale Erfassung von jedem Schritt, aller Prozesse der Wertschöpfungskette auf Wald, Wiese, Acker, Lager, Hof und Stall und deren Auswirkung auf Wirtschaftlich­keit, Biodiversität, Umwelt, Tiergesund­heit und letztlich für hoch qualitative und gesunde Lebensmittel.

 

Die Landwirtschaft muss effizienter werden, um den Bedarf der Nahrung in der Welt zu decken, und gleichzeitig in der Lage sein, angemessene Gewinn­spannen für die Produktion zu erzielen.

 

Auch der Konsument 4.0 verlangt immer genauere Rückverfolgbarkeit von dem, was auf seinem Teller landet. Er hat vermehrt eine misstrauische Haltung, strebt nach Individualisierung und wünscht sich Smart Shopping und Smart Living. Automatische Dokumentation jedes Produktionsschrittes in der Lebensmittel­produktion mit gleichzeitigen Nachweis des Schutzes von Umwelt könnte dem Konsumenten eine neue Qualität garantieren. Auch wenn der Landwirt diese absolute Transparenz vielleicht gar nicht wünscht, wenn es technisch möglich ist, wird es von den Handelsketten und von der Bürokratie gefordert werden.

 

Big-Data oder besser Smart Data verän­dert die Beziehung zum Konsumenten, egal ob im Direktverkauf ab Hof oder via Handelsketten. In der EU landen derzeit 30 % der Nahrungsmittelproduktion irgendwo bei der Produktions-und Konsumkette im Müll. Auch um diese Verschwendung zu vermeiden, werden digitale Lösungen gesucht.

 

EU Kommissar Günther Öttinger sagte auf der Grünen Woche 2016 in Berlin, dass die digitale Revolution in der Realwirtschaft gerade Sektor für Sektor des gesamten Bereiches der Wertschöp­fung erobert. Die schlechte Internetinfra­struktur am Land und der Mangel an Fachkräften bzw. Beratern seien derzeit der Bremsklotz für die Landwirtschaft 4.0. Man könne sich heutzutage leichter Schlaglöcher auf Straßen leisten, als Funklöcher („Bauer sucht Cloud“). Er plädiert in seinen Reden für mehr digitale Ausbildung, besonders auch in den Landwirtschaftsschulen. Die Fachschul­lehrer und Hochschullehrer brauchen digitale Kompetenz, der Agraringenieur und der Agrarmeister müssen wissen, welche Software es gibt und welche Applikationen für seinen Betrieb am besten geeignet sind. Berufliche Weiter­bildung muss auch ein Schwerpunkt im ländlichen Raum sein, denn digitale Kompetenz wird auch am Land in jedem Lebensalter nötig sein, wenn man in Zukunft als Bauer überleben will.

 

Konrad SteinerProf. Dr. Konrad Steiner (48) ist Nebenerwerbslandwirt in Berndorf, unterrichtet an der HBLA Ursprung und betreibt ein Ingenieurbüro aus dem Fachgebiet Biologie und Erdwissenschaften.

 

Zu seinen Themengebieten gehören nachhaltige Kreislaufwirt­schaft, Ressourcenmanagement, Ökoeffektivität und agrarische Bildungsprojekte. So erforscht er die Nutzung von Brauereireststof­fen in der Landwirtschaft bei Stiegl, das Recycling von Altdämmstoff zu Dünger für Isocell und ist im Planungsteam zur Agrar-FH für das Land OÖ.

 

Sein Vortrag über die digitale Landwirtschaft ist heuer der Höhepunkt bei allen 5 Maschi­nenring-Generalversammlungen in Salzburg.

 

Verwendete Quellen:

http://www.agrarheute.com/dlz/news/ackern-netzwerk und auf dieser Seite weiterführende Links. 

Konferenz Farm & Food 4.0 Berlin 2016