Michaels Eindrücke vom Hofleben in der Südoststeiermark
Dass der Bauer, dem ich meine Mithilfe in diesem Sommer über „Freiwillig am Bauernhof – Steiermark“ angeboten hatte, kein Herz aus Stein hat, dämmerte mir schon am Weg vom Bahnhof zu meiner Unterkunft für die kommenden zwei Wochen, als er mich auf meinem Rad circa einen Kilometer vor dem Ziel angerufen und nachgefragt hat, wo ich denn bliebe und ob alles in Ordnung wäre. Ich hatte mich schließlich zu einer gewissen Zeit an jenem Sonntagabend angekündigt.
Die ersten Eindrücke
Die erste persönliche Begegnung wenige Minuten später und die anschließende Kurzführung durch seinen Hof samt Begegnung mit Küken, Schafen und der Hirtenhündin mit ihren pubertär verspielten Welpen bestätigten mein zuvor entstandenes Bild von einem Mann, der liebevoll mit seiner Umgebung im Allgemeinen und mit seinen Tieren im Speziellen umzugehen schien.


Gut erhalten und kräftig war der Mitsechziger obendrein. Wahrscheinlich hält körperliche Arbeit doch um einiges fitter als das regelmäßige In-die-Tasten-Klopfen, dem die meisten Stadtmenschen täglich nachgehen. Mit seiner aufgeweckten und nicht weniger sympathischen Frau Gabi, der ich anschließend beim Abendessen gegenübersaß und mit der ich schnell über Gott und die Welt ins Reden kam, schien Hans eine bemerkenswert harmonische Ehe zu führen, was nach vielen Jahren der Gemeinsamkeit ja eher die Ausnahme als die Regel ist. Alles in allem gaben mir meine ersten Eindrücke, die beiden Gastgeber, die 2 oder 3 Bier zum Abendessen und auch das nette kleine Zimmer unter dem Dach, das mir als Bettstatt zugedacht war, an diesem Sonntagabend ein wohliges Einschlafgefühl.
Voller Einsatz und neue Kenntnisse
Am folgenden Morgen umkam mich nach Brot und Kaffee leicht die Befürchtung, dass ich punkto körperlicher Tätigkeit angesichts meiner sonstigen Lebensumstände, von denen ich am Vorabend berichtet hatte, möglicherweise zu sehr verschont werden könnte. Aber diese Gedanken waren schnell verflogen, als es galt, die frisch vom Sägewerk geholten Bretter und Balken von ihrer Rinde zu befreien und bei Verdacht Gänge etwaiger Holzwürmer herauszuschälen. Da so eine Tätigkeit für zarte Bürohände ja nichts Alltägliches ist, ließ die Arbeit mit dem Reifmesser am ersten Tag Blasen an meinen Händen entstehen, deren Metamorphose mich und meine Umgebung die nächsten zwei Wochen belustigen sollte.
Beeindruckend war auch meine erste Begegnung mit Hans’ Vater, der im unteren Teil des Hauses wohnt und für den es eine Selbstverständlichkeit war, tatkräftig mit Hand anzulegen. Respekt! Eine solch gute körperliche und geistige Verfassung macht ein langes Leben schmackhaft. Jedenfalls hat man mir die Freude, mit Holz zu arbeiten, angesehen und mir zwischenzeitlich statt des Reifmessers eine Axt in die nässenden Hände gedrückt, um Brennholz zu hacken. Wahrscheinlich nimmt man mir ab, dass ich an den Abenden der ersten paar Tage mit einer selten gespürten, zufriedenen Müdigkeit ins Bett gestiegen bin.
Auf dass nicht der Verdacht aufkommt, ich hätte „Freiwilligenarbeit am Bauernhof“ und „Freiwilligenarbeit im Wald“ verwechselt, sei auch erwähnt, dass meiner fast in Vergessenheit geratenen Fähigkeit, eine Sense einigermaßen sinnvoll zu verwenden, neues Leben eingehaucht wurde; dass zu viel Gras am Rechen den erfolgreichen Einsatz desselben erschwert; dass die Birnenernte im Baum den wöchentlichen Kletterkurs bei Weitem wettmacht; dass Lammkoteletts leichter zuzubereiten sind als bisher gedacht; dass Käferbohnen zum Wachsen, Blühen und Reifen mit einer Konstruktion aus Stangen und Schnur motiviert werden und dass Neophyten teils zwar ansehnlich, aber nichtsdestotrotz zu entfernen sind, auf dass sie die einheimische Flora nicht ganz in den Schatten stellen.
Bleibende Erinnerungen
Die wunderbare Erinnerung an diese zwei Wochen liegt aber nicht nur an der körperlich befriedigenden Arbeit, sondern auch am menschlichen Umfeld: Neben den oben erwähnten Bauersleuten und dem Vater von Hans wurden das Haus und seine Umgebung durch eine Schar junger Menschen so mit Leben erfüllt, wie ich es nur aus meiner Kindheit kenne. Neben den fünf erwachsenen Kindern, deren Partnern und Freunden, die sich mehr oder weniger regelmäßig einfanden und sich gefühlt die Klinke in die Hand gaben, verbreiteten auch zwei Enkeltöchter eine quirlige Atmosphäre. Ihnen allen scheint die positive, neugierige und unternehmungsfreudige Grundhaltung von Hans und Gabi mitgegeben worden zu sein. Wahrscheinlich hat auch die schöne Landschaft der Südoststeiermark, die mir unter anderem bei einer Wanderung eindrücklich nähergebracht wurde, ihren Teil dazu beigetragen, dass diese Zeilen dem Einen oder Anderen etwas übertrieben positiv erscheinen mögen.
Für die Erfahrung, wie viel Verschiedenes es auf so einem Hof zu tun gibt, für die herzliche Aufnahme, für die Einblicke in die bäuerliche Welt mit ihren schönen und angenehmen, weniger angenehmen und vielleicht auch unangenehmen Seiten und den mentalen Schwung möchte ich mich ganz, ganz herzlich bedanken.